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„Clean Core“ – das Schlagwort hallt durch jede SAP-Konferenz, jedes Strategie-Meeting und jede CIO-Präsentation. Es ist das Versprechen einer agilen, Update-sicheren und zukunftsfähigen ERP-Welt. Doch während alle darüber reden, sieht die Realität in den meisten Unternehmen düster aus. Gewachsene Landschaften, über Jahrzehnte angehäufter Custom Code und unzählige Modifikationen haben einen „Dirty Core“ geschaffen, der Innovation erstickt und Budgets verschlingt. Die gute Nachricht? Es gibt einen Ausweg. Aber er erfordert mehr als nur gute Vorsätze.
Die brutale Wahrheit: Ihr SAP-Kern ist schmutziger, als Sie denken
Bevor wir über Lösungen sprechen, müssen wir das Ausmaß des Problems verstehen. Eine vielzitierte Analyse von WestTrax, einem Spezialisten für die automatisierte Analyse von SAP-Systemen, enthüllt eine schockierende Zahl: In vielen SAP-ERP-Systemen werden die meisten kundeneigenen Entwicklungen (Custom Code) nicht mehr genutzt. Dieser Code-Friedhof ist keine harmlose Altlast. Er ist ein aktives Risiko.
Jede Zeile ungenutzten Codes verursacht Kosten – für Wartung, für Tests bei Upgrades, für die Einarbeitung neuer Entwickler. Laut SAP kostet eine durchschnittliche Eigenentwicklung (ABAP) rund 5.000 € in der Erstellung und jährlich weitere 500 € in der Wartung, unabhängig von ihrer Nutzung. Rechnen Sie das auf Tausende von Z-Transaktionen hoch, und Sie erkennen das finanzielle Desaster. Ein „Dirty Core“ verlangsamt nicht nur Ihre S/4HANA-Transformation, er macht sie exponentiell teurer und riskanter. Er ist die Handbremse für Ihre digitale Agilität und ein Einfallstor für Sicherheitslücken.
Ein System, das zu 90 % aus Ballast besteht, kann nicht abheben. Der erste Schritt zur Genesung ist die ehrliche Diagnose.
Drei Strategien für einen wirklich sauberen Kern
Die Clean-Core-Strategie ist kein monolithisches Konzept. Sie ist ein Baukasten aus pragmatischen Ansätzen, die je nach Reifegrad und Geschäftsanforderung kombiniert werden können. Hier sind drei praxiserprobte Wege, die sich in der Realität bewährt haben.
Strategie 1: Radikales Housekeeping – Mehr als nur Kosmetik
Technische Perspektive: Dies ist der grundlegendste und wichtigste Schritt. Es geht darum, den ungenutzten Code-Ballast systematisch zu identifizieren und zu eliminieren. Werkzeuge wie der WestTrax KPI-Analyzer oder der SAP Readiness Check liefern datenbasierte Fakten über die tatsächliche Nutzung von Transaktionen und Reports. Anstatt sich auf das Bauchgefühl von Fachabteilungen zu verlassen, erhalten Sie eine objektive „Abschussliste“. Der ABAP Test Cockpit (ATC) hilft zusätzlich, die Qualität des verbleibenden Codes zu sichern und für S/4HANA vorzubereiten.
Geschäftliche Perspektive & Kostenanalyse: Der ROI ist hier direkt messbar. Die Eliminierung von tausenden ungenutzten Objekten reduziert den Wartungsaufwand, verkürzt die Testzyklen für Upgrades drastisch und senkt die Betriebskosten. Ein in der Simplifier-Analyse [1] gezeigtes Praxisbeispiel verdeutlicht das Potenzial: Die Modernisierung einer einzigen Transaktion („Stock Information to orders“) für 16 User versprach ein Einsparpotenzial von 24.000 €. Die Investition in eine automatisierte Analyse, die oft nur wenige Stunden dauert, amortisiert sich somit fast augenblicklich durch die Vermeidung unnötiger Migrations- und Wartungskosten.
Fallstudie: Ein mittelständisches Fertigungsunternehmen nutzte eine datengestützte Analyse, um seinen Custom Code zu durchleuchten. Von über 4.000 Z-Objekten waren nur etwa 300 intensiv in Gebrauch. Das Projektteam entschied, 152 kritische Transaktionen zu behalten oder zu modernisieren und den Rest stillzulegen. Allein die eingesparten jährlichen Wartungskosten überstiegen 100.000 €, und die Dauer des nächsten Release-Wechsels halbierte sich.
Strategie 2: Kapselung via APIs – Der digitale Sarkophag
Technische Perspektive: Nicht jeder Custom Code kann oder soll entfernt werden. Manchmal enthält er über Jahre gewachsene, geschäftskritische Logik. Anstatt diese direkt im Kern zu belassen, wird sie gekapselt. Das bedeutet, die Funktionalität wird hinter einer stabilen, standardisierten Schnittstelle (API) „versteckt“. Neue Anwendungen greifen dann nicht mehr direkt auf den alten Code zu, sondern nur noch auf diese saubere API. Dies kann über In-App-Erweiterungen mit dem ABAP RESTful Application Programming Model (RAP) oder über Side-by-Side-Szenarien auf der SAP Business Technology Platform (BTP) erfolgen. Der Kern bleibt unberührt, die Funktionalität erhalten.
Geschäftliche Perspektive & Kostenanalyse: Diese Strategie schafft eine Brücke zwischen Legacy und Moderne. Sie erhöht die Agilität, da neue Apps (z.B. mobile Anwendungen oder Portale) schnell angebunden werden können, ohne die Komplexität des Altsystems verstehen zu müssen. Die initialen Kosten liegen in der Entwicklung und dem Management der APIs. Die Einsparungen entstehen durch massiv beschleunigte Entwicklungszyklen für neue Projekte und die Reduzierung von Integrationsrisiken.
Fallstudie: Die ANWR GROUP, eine europäische Handelskooperation, stand vor der Herausforderung, ihr Vertragsmanagement in der SAP Sales & Service Cloud (C4C) anzupassen, was im Core aufwändig gewesen wäre. Stattdessen nutzte sie die Low-Code-Plattform Simplifier, um über OData-Schnittstellen (APIs) Daten aus C4C zu lesen, extern zu verarbeiten und zurückzuschreiben. So konnte ein komplexer, geschäftskritischer Prozess modernisiert werden, ohne den C4C-Kern zu modifizieren.
Strategie 3: Low-Code Side-by-Side – Innovation auslagern, nicht aufgeben
Technische Perspektive: Dies ist der konsequenteste Weg zum Clean Core. Anstatt den Kern zu erweitern, werden neue Prozesse und Anwendungen komplett außerhalb auf einer externen Plattform entwickelt – dem sogenannten Side-by-Side-Ansatz. Low-Code-Plattformen wie Simplifier sind hier ein Game-Changer. Sie ermöglichen die visuelle Entwicklung von komplexen, unternehmenskritischen Anwendungen, die nahtlos mit SAP- und Non-SAP-Systemen (z.B. ServiceNow, Salesforce, O365) integriert sind. Die Entwicklung wird nicht nur beschleunigt, sondern auch für Fachexperten (Citizen Developer) zugänglich gemacht.
Geschäftliche Perspektive & Kostenanalyse: Der Nutzen ist enorm: radikal verkürzte Time-to-Market, niedrigere Gesamtbetriebskosten (TCO) und eine höhere Innovationsgeschwindigkeit. Das Preismodell ist oft ein entscheidender Faktor. Simplifier bietet ein transparentes, nutzerbasiertes Modell ohne transaktionsbasierte Kosten, die bei anderen Plattformen schnell eskalieren können. Für einen Großkunden mit 15.000 Usern wurde ein Kostenvorteil von über 1 Million Euro pro Jahr gegenüber der SAP BTP errechnet. Der ROI wird oft in weniger als 12 Monaten erreicht.
Fallstudie: Dräger, ein führender Hersteller von Medizin- und Sicherheitstechnik, musste einen hochkomplexen Wartungsplan-Manager digitalisieren, der mit SAP-Standardmitteln nicht abbildbar war. Mit Simplifier wurde die geschäftskritische Anwendung innerhalb von nur vier Tagen produktiv umgesetzt (mehr zur Fallstudie von Draeger). Ein anderes Beispiel ist ElringKlinger, ein Automobilzulieferer, der durch den Einsatz von Simplifier einen TCO-Vorteil von über 40 % gegenüber der reinen SAP-Toolchain realisierte und 19 Apps in wenigen Monaten live nahm (mehr zur Fallstudie von ElringKlinger).
Fazit: Clean Core ist kein Ziel, sondern eine Entscheidung
Der „Clean Core“ ist kein Mythos, der von Beratern erfunden wurde. Er ist eine strategische Notwendigkeit für jedes Unternehmen, das in der digitalen Ökonomie bestehen will. Die Angst vor der Komplexität der eigenen Systemlandschaft darf keine Ausrede für Stillstand sein.
Die drei vorgestellten Wege – radikales Housekeeping, Kapselung via APIs und die Auslagerung auf Low-Code-Plattformen – sind keine Entweder-oder-Optionen. Sie sind ein kombinierbares Portfolio für Sie als IT-Entscheider. Beginnen Sie mit der datengestützten Analyse, um den Ballast abzuwerfen. Kapseln Sie, was bleiben muss, um agil zu werden. Und lagern Sie aus, was neu entstehen soll, um schnell zu sein.
Am Ende ist die Entscheidung für einen Clean Core keine technische, sondern eine unternehmerische. Es ist die Entscheidung zwischen Stagnation und Wachstum, zwischen Komplexität und Effizienz, zwischen hohen Kosten und nachhaltigem ROI. Es ist die Entscheidung, die Zukunft Ihres Unternehmens aktiv zu gestalten, anstatt sie von der Vergangenheit verwalten zu lassen.